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MdL Daniel Karrais plädiert für strukturelle Verbesserungen im Sozialbereich

Liga-Vertreter beklagen zunehmende Ökonomisierung

Zu einem informellen Austausch trafen sich jetzt die Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtspflege im Landkreis Rottweil mit dem Landtagsabgeordneten Daniel Karrais (FDP). Die Liga ist als Zusammenschluss der Spitzenverbände der freien Wohlfahrt (AWO, DRK, Caritas, Diakonie, Paritätischer) auf Bundes-, Landes- und Kreisebene aktiv und setzt sich auch auf politischer Ebene für soziale Belange ein.

Die Liga-Vertreter waren sich einig, dass die sozialen Einrichtungen im Landkreis Rottweil die Corona-Krise mit viel Kreativität und Engagement gemeistert hätten. Allerdings müssten die dadurch entstandenen zusätzlichen Kosten auch bei Kostenverhandlungen mit den Behörden berücksichtigt werden. In der Arbeit mit alten und behinderten Menschen dürfe nicht nur Quantität zählen, vielmehr müssten bessere Rahmenbedingungen geschaffen und die Qualität der Arbeit wieder in den Fokus gerückt werden. Einhellig wurde die zunehmende Ökonomisierung der sozialen Arbeit beklagt. Die Liga-Vertreter appellierten an die Landespolitik, bei Ausgaben im Sozialbereich auch den „Social return on investment“ zu berücksichtigen. Voreilige Einsparungen etwa im Bereich der beruflichen Bildung hätten später strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt zur Folge. Jeder eingesparte Euro könne später ein Vielfaches an Kosten auslösen.

Tamer Öteles, derzeitiger Vorsitzender der Liga im Kreis Rottweil und Kreisvorsitzender des Paritätischen, betonte den großen Rückhalt, den er als Vorstand der Stiftung Lernen-Fördern-Arbeiten durch die meisten Kostenträger erfahren habe, kritisierte allerdings auch, dass es bei den Schulen kein einheitliches Verfahren im Umgang mit der Pandemie gegeben habe, um die Schüler*innen zu erreichen, und die außerschulischen Partner nicht systematisch eingebunden werden konnten. Dadurch seien manche Kinder aus der Spur geraten. Dies gefährde letztlich die Perspektiven junger Menschen.

Anja Klingelhöfer, Leiterin der bwlv-Fachstelle Sucht und ebenfalls Vertreterin des Paritätischen, bedauerte den finanziellen Verlust durch den Wegfall von Angeboten in Betrieben durch die Corona-Krise. Das Kerngeschäft der Drogenberatung habe man durch viel aufsuchende Arbeit aufrechterhalten können. Für Menschen mit Affinität zur Sucht stelle die Corona-Krise aufgrund des Wegfalls von Tagesstrukturen eine große Herausforderung dar, der Konsum von Drogen habe in dieser Zeit zugenommen.

Manuela Mayer, Regionalleiterin der Caritas Schwarzwald-Alb-Donau, betonte, dass der Sozialbereich viele unterschiedliche Felder habe, von denen einige, wie etwa die Wohnungslosenhilfe, während der Krise leider aus dem Blickfeld geraten seien. Auch der Tafelladen der Caritas, der mit der Unterstützung junger ehrenamtlicher Kräfte auch während der Kreise geöffnet war, sei systemrelevant.

Christine Trein, Regionalleiterin der BruderhausDiakonie, lobte ihre Mitarbeiterinnen, die selbst durch die Corona-Krise belastet waren, für ihren großartigen Einsatz. Man habe in dieser Zeit mehr geleistet als finanziert worden sei. Die Gesellschaft sei weiterhin massiv gefordert und müsse aus der Krise lernen, zumal im Hinblick auf eine mögliche „zweite Welle“.

AWO-Geschäftsführer Peter Hirsch forderte von der Politik strukturelle Nachbesserungen in der Sozialgesetzgebung. Gerade der Pflegebereich sei mit gesetzlichen Vorgaben und ein einer überbordenden Bürokratie überzogen worden; der Pflegepersonalschlüssel sei zu gering. Die Krise habe deutlich gemacht, woran das System kranke und die Landespolitik müsse die durch die Pandemie aufgezeigten Schwächen aufarbeiten und neue Akzente setzen. Hirsch beklagte auch die hohen Eigenanteile der Pflegeheimbewohner und sprach sich für eine Bürgerversicherung aus. Das sei auch eine Frage der Gerechtigkeit. Mayer fügte an, dass die Bereitschaft, für gute Leistung zu zahlen, grundsätzlich gegeben sei, aber es müsse gerecht zugehen. Insgesamt müssten Wirtschaft und Soziales stärker verknüpft werden, zumal die sozialen Einrichtungen sehr flexibel auf die Pandemie reagiert hätten und den in der Wirtschaft tätigen Menschen die Weiterarbeit überhaupt erst ermöglicht hätten.

Karrais bedankte sich für die anregenden und teils kritischen Beiträge. Auch als nicht auf Sozialpolitik spezialisierter Abgeordneter sei es ihm wichtig, sich in diesem Bereich auf dem Laufenden zu halten. In vielen Punkten gab er den Liga-Vertretern recht. Die Arbeit an Menschen müsse wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Gerade die Belastungen der Pflegekasse seien zu hoch, daher plädiere er für eine Abschaffung der Deckelung der Sozialbeiträge. Wer mehr verdiene, dürfe nicht prozentual weniger in die Sozialkassen einzahlen. Diese Haltung vertrete er auch innerparteilich. Auch was die zunehmende Ökonomisierung und die notwendigen strukturellen Verbesserungen in der Sozialarbeit angeht, gab er den Liga-Vertretern grundsätzlich recht; allerdings betonte er, dass die Wirtschaft nach wie vor die wichtigste Grundlage sei. Er hoffe, dass die Gesellschaft aus der Pandemie gelernt habe und es möglich sein werde, in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit nachhaltige Fortschritte zu erzielen.

Auf dem Foto sind neben Herrn Karrais von links abgebildet: Peter Hirsch (AWO), Tamer Öteles (PARITÄTISCHER, Vorsitzender der Liga), Anja Klingelhöfer (PARITÄTISCHER), Christine Trein (Diakonie), Manuela Mayer (Caritas) und Sabrina Haller (Diakonie).