Die Fragen stellte Johannes Fritsche. Das Interview wurde am 30.11.2020 im Schwarzwälder Boten veröffentlicht.
Warum brauchen wir 5G? Welchen Nutzen hat der Bürger? Welchen die Unternehmen?
5G ist die nächste Mobilfunkgeneration und bietet nochmals deutlich höhere Datenraten, schnellere Reaktionszeiten, die sogenannte Latenz und dadurch einen neuen Funktionsumfang. Davon profitieren vor allem Unternehmen, die nicht stationär arbeiten, sondern an unterschiedlichen Standorten unterwegs sind. Es gibt einen steigenden Trend zu Cloud-Anwendungen, bei denen die Software nicht mehr auf dem Endgerät installiert ist, sondern zentral in Rechenzentren läuft. Das prominenteste Beispiel ist Office 365. Dafür braucht man eine Internetanbindung, um alle Funktionen auch auf unterschiedlichen Geräten nutzen zu können und von jedem Gerät auf die eigenen Dateien zugreifen zu können. Diese Geschäftsmodelle nehmen zu und finden so auch vermehrt Einzug in den privaten Gebrauch. Das heißt auch, dass mehr Daten übertragen werden müssen. Viele Anwendungen stecken noch in den Kinderschuhen und vieles kann man sich noch gar nicht vorstellen. Die Erfahrung mit dem Internet zeigt aber, dass sich mit der Verfügbarkeit höherer Datenraten auch neue Anwendungen entwickelt haben. Ein iPhone, wie es 2007 auf den Markt gebracht wurde, wäre ohne mobiles Internet ziemlich nutzlos gewesen. Heute sind Smartphones nicht mehr weg zu denken. Damit will ich sagen, dass wir den Anschluss an neue Übertragungstechniken nicht verpassen dürfen, sonst werden wir abgehängt, wie es derzeit schon beim Breitbandinternet der Fall ist.
Sind die Risiken tatsächlich schon abschließend untersucht? Oder laufen Installation der Technik und Untersuchungen parallel?
Ich denke, dass man von keiner Technologie die Auswirkungen abschließend untersuchen kann. Es gibt bei allem immer wieder neue Erkenntnisse. Derzeit werden schon 5G-Basisstationen auf den Mobilfunkmasten eingerichtet. Die werden größtenteils in den bisher verwendeten Frequenzbändern betrieben und sind lediglich mit neuerer Hardware leistungsfähiger als zuvor. Für die heute genutzten Frequenzen gibt es relativ viele Erkenntnisse, da diese auch schon lange im Einsatz sind. Bei den höheren Frequenzen, die bei 5G auch in Frage kommen, gibt es nur wenige Erkenntnisse. Höhere Frequenzen können aber auch weniger tief in Gewebe eindringen. Es gibt definitiv einen erwärmenden Effekt von elektromagnetischer Strahlung auf organisches Gewebe, weshalb es auch entsprechende Grenzwerte gibt. Langzeiteffekte oder gar karzinogene Wirkungen sind derzeit nicht wissenschaftlich beim Menschen nachgewiesen. Die Studien, die es mit Labortieren gibt, haben oft methodische Mängel und können nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden. Darum gibt es momentan weder einen Nachweis für die Unbedenklichkeit noch für die Schädlichkeit. Darum sollte man mehr Antennen errichten, die mit geringerer Leistung arbeiten. Das verbessert den Empfang, reduziert die Sendeleistung des Endgeräts und minimiert somit etwaige Risiken. Die Schweiz hat beispielsweise solche niedrigeren Grenzwerte. Das heißt dann aber auch, dass man sich nicht gegen den Bau neuer Sender sperren sollte.
Wenn sich Risiken bestätigen, reißen wir die Antennen dann wieder ab oder müssen wir die in Kauf nehmen?
Das entscheidet in Deutschland im Wesentlichen das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Dort sieht man sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse an und leitet Grenzwerte für den Einsatz von unterschiedlichen Technologien ab. Wenn sich ein Risiko bestätigen würde, gehe ich davon aus, dass das BfS entweder Grenzwerte verschärft oder den Einsatz bestimmter Frequenzen untersagt. Je nach dem müssten die Mobilfunknetzbetreiber dann entweder die Antennen umprogrammieren oder eventuell auch ersetzen. Wer dann für die entstandenen Kosten haftet, kann man für so einen theoretischen Fall nicht sagen.
Wie beurteilen Sie es, dass eine Reihe von Städten und Regionen 5G erst mal auf Eis legen?
Politik muss Risikoabwägungen vornehmen und das zum Teil auch ohne die Risiken bis ins Detail zu kennen. So kommt es, dass manche Gremien eben vorsichtiger sind als andere und den 5G-Ausbau stoppen. Wenn Städte den Ausbau stoppen, heißt das aber nicht, dass die mehr Recht haben als andere. Dort wird nur anders in der Abwägung „Innovation und Infrastruktur“ versus „Gesundheitsvorsorge“ entschieden. Ich denke, dass man die Lage immer wieder neu bewerten muss. Man muss aber auch genau hinschauen. Die jetzige Ausbaustufe von 5G verwendet Frequenzen bis 3,7 GHz. WLAN verwendet schon seit Jahren 5 GHz. Hier blieb der Aufschrei aus, weil das die meisten Leute gar nicht wissen. Die ganz hohen Frequenzen von bis zu 60 GHz kommen in der Fläche ohnehin erstmal nicht zum Einsatz. Der 5G-Ausbau von heute bringt in Bezug auf die Frequenzen also nicht viel neues gegenüber 4G und WLAN.
5G und Smart City: Technik für den Überwachungsstaat (siehe China) sagen die Kritiker. Wie sehen diese Risiken aus? Wie kann man die ausschalten?
Zunächst mal sollte man nicht 5G mit Smart City in einen Topf schmeißen. Eine Smart City kann zwar mit 5G etwas anfangen, man kann aber auch viel mit 4G machen. Die Frage, die dahinter steckt ist, was wir uns für ein Gesellschaftsmodell im digitalen Raum geben wollen. Es gibt derzeit sozusagen zwei Modelle: Die USA lassen den Tech-Unternehmen weitestgehend freie Hand, wie sie die Daten und Nutzerinformationen für ihr Geschäftsmodell verwenden. China nutzt die Daten aus dem Internet für die Überwachung, Bewertung und Steuerung der Bevölkerung. Für mich ist keines der beiden Modelle eine Lösung und hierfür kommt der EU eine besondere Verantwortung zu. Wir brauchen einen Mittelweg. Sozusagen das Pendant zur sozialen Marktwirtschaft im digitalen Raum. Die viel gescholtene Datenschutzgrundverordnung und die e-Privacy-Richtlinie sind dafür erste Schritte.
Ich kann verstehen, dass der Blick nach China und der Gedanke an die Möglichkeiten, die es gibt, einem Angst macht. Mir bereitet eher Sorgen, dass die amerikanischen Tech-Unternehmen ungezügelt die Gesellschaft in ihren Sog ziehen können und dadurch eine gewaltige Macht haben, zu erkennen und zu bestimmen, welche Meinungen kursieren. Letztlich geht es den Tech-Riesen wohl nur um das Geschäft, aber wer garantiert, dass das so bleibt? Darum müssen wir ein Regelwerk entwickeln und entscheiden, was wir zulassen und was nicht. Wie dieses dann aussieht und ob der Staat mehr Überwachungsmöglichkeiten erhält, entscheidet der Wähler. Es gibt Parteien, die jede Technik auch nutzen wollen, denn man hat ja angeblich nichts zu verbergen. Ich denke, dass der Staat Grenzen des machbaren haben muss und das muss für Unternehmen noch mehr gelten. Jede Technologie hat zwei Seiten und kann für das Gute oder das Schlechte eingesetzt werden.
Die digitale Transformation kann man jedenfalls nicht aufhalten. Den Kampf gegen die Digitalisierung wird man verlieren und beraubt uns der Gestaltungsmöglichkeiten. Man sollte stattdessen dafür kämpfen, dass der Rechtsrahmen dafür sorgt, dass die Digitalisierung den Menschen und der Gesellschaft nutzt und nicht einzelnen Unternehmen. Wir brauchen auch eine Erweiterung des Grundgesetzes um digitale Bürgerrechte, in denen zum Beispiel geregelt ist, was eine Künstliche Intelligenz darf und was nicht. Digitalisierungsethik ist ein wichtiges Feld und hier muss sich Politik auch einen Rahmen geben. Zustände, wie in China halte ich in Deutschland allerdings für unwahrscheinlich, jedenfalls solange wir die freiheitlich-demokratische Grundordnung hochhalten.
5G und Autonomes Fahren ist auch so ein Unterthema.
Autonomes Fahren hat verschiedene Entwicklungsstadien, nicht jedes davon braucht 5G. Manche Autohersteller setzen stattdessen auch auf den WLAN-Standard. Um selbstständig zu fahren, braucht ein Auto nur ausreichend Sensoren und Rechenkapazität, eine Datenverbindung ist nicht zwingend erforderlich. Diese kann aber weitere Funktionen und Vorteile bieten. Wenn Fahrzeuge untereinander in Echtzeit kommunizieren können, ist eine bessere Steuerung des Verkehrs oder das Warnen vor Gefahren möglich. Auch wenn man Fahrzeuge fernsteuern möchte, bräuchte man 5G. Insgesamt ist aber die Behauptung, dass man 5G fürs Autonome Fahren brauche, ein wenig taugliches Argument.